„Servus, hi Capo, kennst mich noch?“: Ortstermin in der Oberen Königstraße 19 in der Brauerei Fässla, verbunden mit dem Gefühl, dass der Brauerei-Chef nahezu jeden Gast kennt. Roland Kalb „lebt“ Wirtschaft mit Herzblut in einem Familienbetrieb in der dritten Generation, der ohne Geschäftsführer auskommt und insgesamt 50 Beschäftigte im Stammhaus hat.
Und auch am Sonntag bei der großen Jubiläumsfeier anlässlich des 375-jährigen Bestehens - daher auch der Maß-Preis von 375 Cent (Seidla zwei Euro) - dieser traditionsreichen Gastwirtschaft wird der heute 57-Jährige mittendrin statt nur dabei sein, wohl auch gegen 8 Uhr aufsperren und spätabends schließen. Die Feierlichkeiten beginnen um 10 Uhr, das Ende ist für 21.30 Uhr terminiert. Für fränkische Schmankerl und musikalische Unterhaltung ist ebenso gesorgt wie für einen ganz speziellen Sud zu diesem außergewöhnlichen Bierfest.„Ein einmaliger Sud, der bereits seit sechs Wochen im Keller lagert. Dieses Festbier mit einer 13,5-er Stammwürze und 5,8 Prozent ist nicht in Flaschen erhältlich“, beschreibt Kalbs Sohn Lukas, der gleichzeitig betont, dass für alle Fässla-Biere die Rohstoffe - Malz von der Bamberger Mälzerei und Spalter Hopfen - aus der fränkischen Region kommen. Der 28-Jährige, der von Kindesbeinen an in der Gastwirtschaft mit aufgewachsen ist, lernte das Handwerk im eigenen Betrieb und machte in der Ulmer Meisterschule 2017 seinen Brau- und Malzmeister-Titel.
Stichwort Familienbetrieb: Schwester Leonie (Vater Roland stolz:„die gute Seele des Betriebs“) ist gelernte Hotelfachfrau und hierbei auch für die 26 Gästezimmer zuständig. „Bitte beachten Sie, dass wir kein Hotel sind, sondern Fremdenzimmer anbieten. Mit Bademänteln, Pantoffeln, Minibar, Zimmerservice, 24-Stunden-Rezeption und Weckruf können wir nicht dienen, dafür aber mit sauberen Zimmern zu fairen Preisen und dem einzigartigen Erlebnis, in unserer Brauerei zu schlafen“, betonen die Kalbs. Mutter Ute ist in der Buchhaltung tätig. Einzig Sohn Jonas ist als Wirtschaftsinformatiker nicht im Brauerei-Geschäft.
Am 1. April 1978 hat Sebastian Kalb - bis zu seinem Tod 2022 stand er auch als 82-Jähriger noch im Betrieb - die Brauerei übernommen und acht Jahre später gekauft. Vom ersten Tag der Pacht an stand sein Sohn Roland in der Gastwirtschaft. Bier ausschenken mit elf Jahren, schöne Erinnerungen für den gelernten Brauer, der als gebürtiger Erlangener in Dechsendorf aufgewachsen ist. Brauerei liegt bei der Kalb-Familie wohl im Blut, denn auch seine Mutter Inge stammte aus einer Brauerei in Possenfelden bei Schlüsselfeld.
Als die Kalb-Brauerei-Dynastie das Fässla (früher Fäßla, erst im Kalb-Zeitalter wurde daraus das Fässla) übernahm, stand der diesjährige Jubilar mit gerade einmal 2400 Hektolitern am Tabellenende der Bamberger Brauereien. Nach einer rasanten Aufholjagd stehen die Kalbs nun an der Spitze, was das „meistgetrunkene Bier in Bamberg“ betrifft, dazu zählen eigene „Töchter“ und viele Gastwirtschaften, die von der Oberen Königstraße aus beliefert werden, so dass sich die Ausstoßmenge auf 40.000 Hektoliter summiert. Von der Quantität her gesehen haben die Fässla-Brauer den „Silber“-Rang inne. Beliebtestes Getränk in diesem Unternehmen ist das Lagerbier. Die weiteren bekannten Biere in der Fässla-Produktpalette: „Zwergla“, Helles, Gold-Pils, Weizla und das Starkbier „Bambergator“.
Natürlich haben die Biere und der täglich wechselnde fränkische Mittagstisch eine magnetische Anziehungskraft für die Freunde des Frühschoppens („mache stehen bereits bei der Öffnung vor der Tür“), der Stammtische, der Schafkopfrunden; aber letztlich ist es wahrscheinlich das Gesamtkonstrukt mit der Wirtshaus-Stube und dem Garten als zwei der fünf Örtlichkeiten des Anwesens, die das besondere„Feeling“ des Fässlas ausmachen.
Natürlich gilt dieser „Push“-Faktor auch für die Touristenströme. Auf dem Weg vom Bahnhof in die Altstadt gehört das Fässla nun einmal zu den ersten Anlaufstationen in puncto Seidla, zumal ja auch die gängigen Reiseführer diese Location im Fokus haben. Die großen lautstarken Junggesellen-Partys sind Geschichte: „Da läuft alles viel ruhiger, die sind cleverer geworden und machen sich nicht mehr so bemerkbar.“
Das Attribut „magnetische Anziehungskraft“ gilt für zwei Stammgäste der ganz besonderen Art: Während der eine aus Alaska kommt, ist „Jojo“ der „Local-Hero“, der nahezu täglich hier ist; als Nachtschichtler meist zum Frühschoppen. Der 46-Jährige mit 30 Jahren Fässla-Vergangenheit hat für sein „Gold-Pils“ selbstverständlich ein eigenes Glas mit entsprechender Gravur. Als Alleinstellungsmerkmal besitzt er einen „Bierhaxn“ am eigenen Leib. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes, denn an der strammen rechten Wade auf der Rückseite sticht sein „Zwergla“-Tattoo ins Auge. Ein Eyecatcher, der vor fünf Jahren in sechs Stunden angefertigt wurde, aber auch die Vorderseite ist mit Bier-Figuren und -Sprüchen („Bier ist der Beweis, dass Gott uns liebt und will, dass wir glücklich sind“) außergewöhnlich dekoriert. Wahre Meisterwerke der Bier-Kunst! „Weltklasse-Bier. Super Familie, eine Einheit, da passt schon alles“, lobt „Jojo“ in höchsten Tönen.
„Es gibt viele Gäste, die von Donnerstag bis Sonntag fast ihre gesamte Zeit hier bei uns verbringen. Die absolute Spitze ist jedoch ein Amerikaner aus Alaska, der zieht oft fast zwei Wochen nonstop durch. Er kommt immer wieder, verlässt das Haus kaum, ist mit Stammgästen befreundet, die ihn ab und an in die Region mitnehmen“, beschreibt Roland Kalb den außergewöhnlichen Mehrfach-Besucher aus den USA.
Neben all den Highlights und der positiven Geschäftsentwicklung in den vergangenen knapp vier Jahrzehnten blickt Kalb aber auch beim Jubiläums-Gespräch auf die „grausamste“ Zeit zurück. „Die siebenmonatige Schließung in der Corona-Hochphase war todlangweilig. Die Wirtschaft ging von 100 auf 5. Einzig der erhöhte Verkauf unserer Flaschenbiere hat uns finanziell sehr geholfen.“
Auch dem lokalen Sport ist der „Macher“ sehr zugewandt: Zum einen gehört er mit zum Sponsorenkreis vom 1. FC Eintracht Bamberg, aber auch in der Brose Arena taucht Fässla-Bier in jedem Spiel auf. Für jeden Bamberger Punkt gibt es ein Fässla-Bier, so ist die alljährliche Abschlussparty immer gesichert.
Die Kalb-Ära ist nur die aktuelle Klammer hinter einer geschichtsträchtigen Zeitrechnung mit dem Start 1649: Kurz nach dem 30-jährigen Krieg richtete der Brauer und Büttner Hanẞ Lauer in dem Eckhaus am Gang zum Heiligen Grab eine Brauerei ein. Das Haus selbst stammte aus dem 14. Jahrhundert. Aus den Gründerjahren datiert auch die Anekdote„Die Zwergla und das Fässla...“, als die damalige Wirtin im Keller von davoneilenden Zwergla, die zuvor die Fässer rollten, nur noch die Schatten sah. Auf Nimmerwiedersehen, ihr Zwergla, aber die Brau-Tradition ist geblieben! Weitere verbriefte Stationen: 1796 übernahm Weinhändler und Bierbrauer Adam Himmel, 1860 Sebastian Leicht, 1898 Paul Lutz und 1926 Friedrich Zehender. Nach dessen Tod übernahm dessen Witwe Maria, die mit ihrer Schwester Gretel die Geschäfte führte, ehe die brauereiaffine Familie Kalb den nächsten großen Markstein übernahm.
Spinnt man die Geschichte fort, dann wird Roland Kalb ebenso wie sein Vater im hohen Alter weiter mit aktiv sein und die nächste Generation um Sohn Lukas die operativen Geschäfte führen. Der 400-Jahr-Feier im Jahre 2049 steht nichts mehr im Wege.
Zurück zur Gegenwart: Am Sonntag muss gebührend gefeiert werden, die Zwergla müssen bestimmt einige Fässla rollen, die 375-Cent-Trinker werden viele Geschichten zu erzählen haben und die Geschichte wieder hochleben lassen, auch wenn man keinen „Bierhaxn" zu bieten hat. Ob der Spezial-Sud reicht? Bertram Wagner