Alten- und Krankenpflege
Pflegefall ist nicht gleich Pflegefall. Pflegebedürftigkeit passiert, wächst, entwickelt sich. Kann stagnieren oder eskalieren. Ist divers und dynamisch. Und in seinem Artenreichtum oft gar nicht so leicht zu erkennen, einzuordnen und abzuschätzen. Wenn weder Unfall noch plötzliche schwere Krankheit eindeutige Signale senden: Wie erkennt man, dass irgendwas irgendwo sachte aus dem Ruder läuft? Und wo welche Hilfe nötig wird?


Definition Pflegebedürftigkeit
Wann eine wie immer geartete Pflegebedürftigkeit beginnt, das definiert als zahlender Hilfeleister das Bundesministerium für Gesundheit. Als pflegebedürftig gelten nach dem Gesetz „Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen“. Genauer: Es geht um Personen, die ihren Alltag durch körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen, gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig bewältigen können. Und: Die Pflegebedürftigkeit muss dauern – voraussichtlich mindestens sechs Monate und dann in einer stufenweise definierten Mindest-Schwere vorliegen.
Vielfältige Ursachen
Pflegebedürftigkeit entsteht häufig nicht nur plötzlich, radikal und eindeutig diagnostizierbar, sondern oft auch fast unmerklich und mit langsam fortschreitenden chronischen Krankheiten auf körperlicher und psychischer Ebene. Und erwächst auch aus scheinbar banalen Alterserscheinungen, die mit solchen Leiden Hand in Hand gehen und sich gegenseitig bedingen und befeuern. Egal ob Symptome aus heiterem Himmel oder schleichend aus dem Nirgendwo: Erstmal ist Hinschauen notwendig. Und dann Abgleichen mit Profis.
Physische Ebene

Was ist anders als vorher? Gibt es im Alltag irgendwelche Überforderungen? Oder verschärfen sich kleine Schwächen zu großen Mankos? Dysfunktionalitäten passieren wahlweise im Kopf oder im Körper und arbeiten getrennt oder gemeinsam gegen gewohntes eigenständiges Leben. Auf rein physischer Ebene zum Beispiel das Thema Mobilität und Muskelkraft. Sportwissenschaftler benennen Signale, die beginnende Pflegebedürftigkeit auf körperlicher Ebene anzeigen: Die Gehgeschwindigkeit ist zum Beispiel ein Faktor, der konkret gemessen werden kann. Können Menschen weniger als einen Meter pro Sekunde gehen, wird das von Profis als Hinweis auf beginnende Pflegebedürftigkeit interpretiert. Auch hinsichtlich Muskelkraft gibt es Tricks, schwindende Power selbst zu diagnostizieren. So sollte ein haushaltsführender Mensch laut Physio-Experten innerhalb von 15 Sekunden fünfmal ohne Hilfe der Arme vom Stuhl aufstehen können. Umgekehrt sind konstant unsichere Gehbewegungen und häufige Stürze Warnsignale, dass koordinierte Mobilität abhandenkommt.
Baustelle Kopf
Viele Schwierigkeiten beginnen buchstäblich im Kopf – und zeigen sich im komplexen Alltag. Wie zunehmende Vergesslichkeit, die das zuverlässige Steuern und Erledigen von Aufgaben unterminiert. Betroffene vergessen das Bezahlen von Rechnungen oder auch das Einhalten von Terminen. Oft lässt auch die Orientierungsfähigkeit merklich nach: Souveränitätsverlust zuhause oder beim Einkaufen sind Signale, die auf eine fortschreitende Demenz-Erkrankung hinweisen können. Roter Alarm leuchtet beim Vernachlässigen elementarer Verrichtungen im Haushalt: Wenn das Anziehen vergessen wird, die Zubereitung von Mahlzeiten nicht mehr stattfindet oder Körperpflege nachlässt, muss das nicht unbedingt körperliche Ursachen haben – aber auch da ist dringend professioneller Check und Intervention angesagt.


Isolation als Warnzeichen
Oder keine Lust mehr auf irgendwelche Kontakte? Rückzug aus dem öffentlichen oder sozialen Leben: Wachsende Isolation ist ein Warnzeichen – oft ein Hinweis auf eine Depression oder eine depressive Verstimmung, die sich durchs vermehrte Verkriechen noch verstärken und geistige und körperliche Gesundheit weiter verschlechtern kann. Auch hier kann frühes Intervenieren helfen, den Prozess der wachsenden Pflegebedürftigkeit über Pflegeinstrumente zu verlangsamen und Lebensqualität zu erhalten oder allen Schwierigkeiten zum Trotz das Leben wieder zu bereichern.
Achtsamkeit und Hilfe
Hinschauen, hineindenken, mitfühlen: Egal ob schonungsloser Selbst-Check oder die Situation Allerliebster, Angehöriger oder Anwohner akribisch analysieren – Aufmerksamkeit ist der Schlüssel zum produktiven Handeln. Pflegestützpunkte oder auch Pflegeberatungsstellen offerieren Hilfesuchenden dabei Beratung und Unterstützung vor Ort, telefonisch oder online. Sowohl beim Symptome erkennen als auch beim Maßnahmen ergreifen. Um dann auch die variable Finanzierung der Pflegeversicherung für Einzelleistungen oder Leistungspakete in Anspruch zu nehmen, muss das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit anschließend offiziell festgestellt werden – und mit der Ermittlung des sogenannten Pflegegrades Leistungen in unterschiedlichem Maße angefordert werden. Annette Gropp
Alltags-Fitness checken
Mobilität: Ist die Kompetenz vorhanden, sich innerhalb und außerhalb des Wohnraumes zu bewegen?
Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Funktionieren Erinnerung, Orientierung, Gesprächsführung, Entscheidungsfähigkeit und Artikulation?
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Gibt es Unruhezustände, Ängste, Aggressivität oder Verstimmungen, die das aktive Leben beeinflussen?
Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen: Passt der Umgang mit Arztbesuchen, Medikamenten, Verbänden und Co.?
Alltagsleben und soziale Kontakte: Gehen eigenständige Strukturierung des Tages, Pflege sozialer Kontakte undTeilhabe am gesellschaftlichen Leben? Bester Tipp zum Langzeit-Check für Betroffene oder Angehörige: Tagebuch oder Protokoll anlegen!
Gut zu wissen
Mehr Informationen zu Beihilfen und Entlastungsbeträgen in der Pflege sowie entsprechende Antragsformulare stellt der Bund unter www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege bereit.