Traditionen und Bräuche rund um die Weihnachtszeit? Gibt's viele - und auch viele neue. Einmal, weil Entstehung, Vertiefung und Austausch von Ritualen an jedem Ort dynamisch sind. Und zweitens, weil die Reisefähigkeit in digital noch mehr für Inspiration tut, als sie es analog je vermocht hat. Bei aller Vielschichtigkeit sind alle Bräuche trotzdem nur aus zwei Quellen gespeist. Christentum und Naturrituale starteten in Urzeiten, befeuern sich seitdem gegenseitig und feiern friedliches menschliches Zusammenleben gegen widrige Umstände. Ein paar alte Rituale beschreiben das Zusammenspiel von Welt und christlicher Religion ziemlich gut und verraten einiges über die Essenz von Weihnachten und der magischen Zeit davor.
Weihnachten als Feiertag
Ursprünglich am 25., später ab 24. Dezember, wird die Geburt Jesu gefeiert – und mit ein paar Tagen Verspätung eigentlich auch Wintersonnenwende. Denn schon vor Christi Geburt gab es heidnische Sonnenwendfeste: Der Brauch, in dunklen Momenten Licht anzuzünden und in der Familie und der Dorfgemeinschaft zusammenzurücken, ist noch älter. Um mehr Offenheit für die christliche Lehre zu wecken und populärer zu werden, dockt die Kirche im Frühmittelalter an dieses heidnische Ritual an. Jesu Geburt – die irgendwann anders stattgefunden hat – wird in den Winter verlegt. Und passt zur heidnischen und ebenso menschlichen Hoffnung auf Rettung vor Unbill – und Hoffnung auf mehr Licht und Wärme in jeglicher Form. Und so gibt’s ab da Erhellendes für den Kopf, fürs Herz und für alle Menschen.
Warten auf das Fest: Die Adventszeit
Aus dem Lateinischen übersetzt heißt Advent Ankunft: Während dieser Zeitspanne bereiten sich Christen auf Weihnachten vor. Und: Mit dem ersten Advent beginnt traditionell auch das neue Kirchenjahr. Ende des vierten Jahrhunderts wird der Advent laut Historikern als Zeit der Besinnung, des Fastens und der Buße angesetzt. Adventssonntage gibt es ursprünglich sogar sechs: Papst Gregor der Große reduziert die Anzahl dann auf vier. Die neue Zahl soll symbolisch auf die 4000 Jahre hinweisen, die die Menschheit nach kirchlicher Rechnung auf die Ankunft des Erlösers warten musste. Das ursprünglich verordnete Fasten wird seit 1917 nicht mehr gefordert, zunächst rückt das Gebet mehr in den Mittelpunkt. Da dockt wiederum die Welt an: Weil das Fest eine immer größere Bedeutung bekommt, wird irgendwann auch die Vorfreude darauf mehr zelebriert und Einstimmung betrieben.
Der Kranz mit den Kerzen ist angeblich eine Erfindung des Theologen Johann Hinrich Wichern im 19. Jahrhundert. Er arbeitete als Pädagoge mit straffällig gewordenen Kindern und wollte sie auf Weihnachten einstimmen. Er baute aus einem Wagenrad einen Holzkranz mit 19 kleinen und vier großen Kerzen und zündete jeden Tag eine an – so dass die Zeit bis Weihnachten leichter und schönerzählbarwurde. Hier koppeln wieder mal die Kirchen an: 1925 hing demnach zum erstem Mal ein Kranz mit vier Kerzen in einem Gotteshaus.
Wartezeit versüßen: Adventskalender und mehr
Den Ursprung des Adventskalenders verorten Historiker im 19. Jahrhundert – er dient als Zeitmesser und Zählhilfe. Zunächst wurden täglich Bilder an die Wand gehängt oder mit Kreide Striche an die Wand gemalt. Katholiken legten in den Anfangszeiten angeblich täglich einen Strohhalm in die Krippe. Ein evangelischer Buchhändler veröffentlichte erst 1902 den ersten Adventskalender mit Bildern, seit 1920 gibt’s die stetige Herstellung von Print-Varianten und auch die ersten Schoko-Versionen. Nach kurzer Unterbrechung und Umdeutung während der Nazi-Zeit wurde der ursprüngliche Adventskalender von einem US-General ausDeutschland nach Amerika exportiert und ist seit 1950 auch dort Massenartikel. Seit den 1970er-Jahren wird er oft selbst gestaltet, seit der Jahrtausendwende etabliert er sich als Marketing-Tool im Handel.
Sehr weltlich: Auf Weihnachtsmärkten werden Stimmungsmacher verkauft und Stimmung produziert. Bereits im Spätmittelalter drängt man sich während der Vorweihnachtszeit über und durch spezielle Märkte, um sich für die kalte Jahreszeit mit Lebensmitteln einzudecken. Später kommen Süßigkeiten-Händler, Handwerker und Spielzeugmacher dazu, die mit ihren Waren Geschenkideen liefern. Besondere Speisen rund um Weihnachten und die Suche nach wertschätzenden Gaben sind aber auch durchaus christlichen Ursprungs - was wiederum Geschichtsforscher auf die Heiligen Drei Könige zurückführen. Die aktuelle Eskalation von Konsum rund ums Dekorieren, Schenken plus kulinarisch-alkoholischer Einstimmung ist wiederum westlichem Wohlstand geschuldet.
Im Mittelalter wurden Kinder ausschließlich am 6. Dezember tatsächlich oder in Gestalt des Heiligen Nikolaus beschenkt. Protestanten jedoch hielten nichts von der katholischen Heiligenverehrung. Heute vermuten Historiker, dass wegen Martin Luther die Bescherung auf den 24. Dezember verlegt wurde und die Gaben anlässlich der Feier im Namen Christi - also quasi vom Christkind selbst - heimlich übergeben werden. Das wiederum verwandelte sich im Laufe der Jahrhunderte in eine Kunstfigur im Engelsformat und mit blonden Locken. Und ist heute vor allem im Süden Deutschlands das lokale Pendant zum Weihnachtsmann - der als früher Marketing-Gag im 19. Jahrhundert. Annette Gropp
Christmette
Das Wort Mette kommt aus dem Lateinischen. Die Hora Matutina ist die Morgenstunde, die wiederum von der altitalischen Mater Matuta „Mutter der Frühe“ hergeleitet wird. Die Christmette ist dann durchs Zusammenwachsen des Nachtgebetes Matutin der Christnacht mit der ersten heiligen Messe des Weihnachtsfestes am 25. Dezember entstanden. Obwohl das Ritual ein urchristliches ist, gehen auch Menschen ohne Glaubensbindung an Weihnachten in einen Gottesdienst einer der beiden Konfessionen.