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Lappalie oder ein Fall für den Gutachter?

Bagatellschaden – Wenn Schrammen und Dellen die Karosserie zieren

Lappalie oder ein Fall für den Gutachter?

Wenn man nicht sicher ist, ob es sich um einen Bagatellschaden handelt, sollte man den Rat eines Sachverständigen einholen. FOTO: PAIRHANDMADE - STOCK.ADOBE.COM

17.04.2021

Vor Kratzern, Schrammen, Dellen und Beulen bleibt wohl kaum ein Fahrzeug im Straßenverkehr verschont. Meist spricht man dann von einem Bagatellschaden. Doch werden solche kleinen Blessuren in der Karosserie von Lkw, Pkw oder Motorrad nicht rechtzeitig bemerkt – oder wissentlich ignoriert – setzen sie sich als Makel am blanken Blech fest und stellen insbesondere bei teuren Neufahrzeugen eine erhebliche Wertminderung dar. Nicht jeder Kratzer im Lack ist harmlos. Doch für Laien ist es schwierig zu erkennen, ob nur ein Bagatellschaden vorliegt oder ob der augenscheinlich geringfügige Schaden doch weitaus schwerer wiegt.

Was bedeutet „Bagatellschaden“?

Von einem Bagatellschaden spricht man bei einem Blechschaden nach einem Verkehrsunfall, der so gering ist, dass er den Mindest-Sachwert für eine Aufnahme durch die Polizei nicht erfüllt. Ein Bagatellschaden stellt auch nicht zwangsläufig eine Minderung des Fahrzeugwerts dar, da hier ausschließlich das Blech bzw. der Lack geschädigt wurde, zum Beispiel durch Schrammen oder Kratzer.

Allerdings spielt hierbei die Art des Wagens eine gewichtige Rolle, denn ein Kratzer an einem älteren Fahrzeug ist unter Umständen im Vergleich zu einem ähnlichen Schaden an einem Luxusfahrzeug deutlich geringer einzustufen.

Eine gesetzliche Grenze existiert nicht, jedoch hat der BGH im Jahr 2004 festgelegt, dass bei Reparaturkosten von über 700 Euro (Az. VI ZR 365/03) nicht mehr von Bagatellschäden gesprochen wird. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass vereinzelt Gerichte auch andere Werte ansetzen. Nach aktueller Rechtsprechung liegt die Bagatellgrenze derzeit bei circa 750 Euro bis 1000 Euro, Tendenz Richtung 1000 Euro, schreibt das Infoportal Bußgeldkatalog.org..

Wissenswertes zum Gutachten

Die Schadensgrenze spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, ob die Versicherung die Kosten für einen Gutachter übernimmt. Unterschreitet die Schadenshöhe nämlich die 700 Euro, weigern sich Versicherungen oftmals, die Bezahlung eines Sachverständigen zu übernehmen. Es bietet sich dann als Alternative für ein Schadensgutachten eine Reparaturkosten-Kalkulation an.

Liegt jedoch der Verdacht nahe, dass die Beulen und Schrammen doch gravierender sind, ist es ratsam, ein Gutachten anfertigen zu lassen. Hierbei genügt zumeist ein Kurzgutachten, dessen Kosten sich im Schnitt auf 50 bis 100 Euro belaufen und damit überschaubar sind. Wird in dieser Überprüfung ein höherer Schaden festgestellt, sind die Sachverständigenkosten in der Regel von der Versicherung im Rahmen der Schadensregulierung zu übernehmen.

Die empfohlene Vorgehensweise

Prinzipiell gelten auch bei einem Crash mit Bagatellschaden ähnliche Maßnahmen wie bei anderweitigen Kollisionen. Gemäß Paragraf 34 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) heißt das: umgehendes Anhalten der Beteiligten, Sicherung der Unfallstelle, bei einemgeringfügigen Schaden (Bagatellschaden): schnellstmöglich zur Seite fahren/Straße räumen, über Schadensfolgen Klarheit verschaffen und Erste Hilfe leisten, falls es Verletzte gibt. Zur Sicherung der Unfallstelle empfiehlt sich die Betätigung der Warnblinkanlage, das Aufstellen eines Warndreiecks sowie das Tragen einer Warnweste. Möglich ist es auch, Ort und Karosserieschäden zu fotografieren. Zusätzlich dient ein Unfallbericht der Klärung des Tathergangs und der Schadensregulierung. Anschließend ist das Geschehnis unverzüglich der Versicherung zu melden, auch wenn es sich nur um einen Bagatellschaden handelt und die Schuldfrage eindeutig geklärt ist.

Neben den genannten Punkten sind Verkehrsteilnehmer außerdem dazu verpflichtet, im Rahmen eines Schadensereignisses Angaben über betreffende Personen zu machen, auf Verlangen etwaiger Beteiligter den Führerschein vorzuzeigen und die eigenen Kontaktdaten ebenso preiszugeben wie die Versicherungsinformationen. Zusätzlich müssen die entsprechenden Personen so lange am Unfallort verweilen, bis sämtliche Personalien und Fahrzeuginformationen erfasst wurden.

Strafen bei Unfallflucht

Übrigens: Auch bei einem Verkehrsunfall mit Bagatellschaden begeht man Unfallflucht, wenn man den Ort des Geschehens verlässt, ohne die genannten Vorgaben beachtet zu haben. Entfernt sich der Unfallverursacher – vorsätzlich – vom Unfallort, ohne den Geschädigten zu kontaktieren, droht eine Strafe wegen Unfallflucht nach einem Bagatellschaden. Diese beläuft sich gemäß Paragraf 142 Strafgesetzbuch (StGB) auf bis zu drei Jahre. Zudem kann eine Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden.

Muss die Polizei gerufen werden?

Viele Autofahrer verfahren nach dem Credo: Bei einem Crash muss immer die Polizei gerufen werden! Das stimmt so nur bedingt. Bei kleineren Schäden, also auch bei einem Bagatellschaden, sind die Beamten nicht dazu verpflichtet, den Schaden offiziell aufzunehmen. Es ist also nicht erforderlich, die Polizei zu rufen, wenn nur leichte Bagatellschäden vorliegen und die Schuldfrage geklärt wurde. Besteht ein Unfallbeteiligter dennoch auf die Hinzuziehung der Polizei, handelt es sich um eine sogenannte technische Hilfsleistung, die kostenpflichtig ist.

Wenn’smehr als eine Bagatelle ist?

Aufgrund der komplexen Bauweise moderner Fahrzeuge kann der Laie kaum erkennen, wie groß der Schaden nach einem Unfall tatsächlich ist. Vor allem die elastischen Kunststoffaußenteile federn nach einem Aufprall meist in ihre ursprüngliche Form zurück, und von außen ist dadurch kein Schaden erkennbar. Ein Gutachter könnte den Schaden beziffern, doch sollte man vorerst kein vollwertiges Kfz-Gutachten erstellen lassen, denn die Versicherung wird die Kosten hierfür nicht übernehmen. Gleiches gilt meist auch für die Kosten eines Kostenvoranschlages. DieÜbernahme der Kosten sollte man mit der Versicherung stets im Vorfeld klären. Eine mögliche Lösung stellt ein sogenanntes Kurzgutachten dar, die Kosten werden von der Versicherung im Regelfall übernommen.

Überschreitet der Schaden die Bagatellgrenze von derzeit circa 750 bis 1000 Euro (Tendenz Richtung 1000 Euro, Stand 2020), so ist es gerechtfertigt und empfehlenswert, im Haftpflichtschadenfall einen Gutachter nach Wahl zu beauftragen. Jürgen Scheibe

Bagatellgrenze

Nach aktueller Rechtsprechung liegt die Bagatellgrenze derzeit bei circa 750 Euro bis 1000 Euro, Tendenz Richtung 1000 Euro.