Dass Anzahl, Größe, Format und Design der Fenster inzwischen viel freier von klimatischen und umgebungsmäßigen Bedingungen ausgesucht werden können, liegt am breit gewordenen Performance-Portfolio von Glas. Dass Fensterglas neben Durchschaubarkeit und Lichtlieferung unterschiedliche Funktionen von Dämmung über Beschattung bis zur Selbstreinigung liefert, ist dabei Sache von Physik und Chemie. Genauer: von Beschichtung.
On- und Offline-Coating
Online-Beschichtung? Bedeutet zeitgleich und passiert schon während der Glasherstellung. Dafür wird das Glas-Gemisch auf 490 bis 730 Grad Celsius erhitzt und eine gasförmig-chemische Mischung aufs geschmolzene Glas gesprüht. Die neue Beschichtung verschmilzt mit der Oberfläche - und gilt deswegen als besonders widerstandsfähig und robust. Offline-Prozedere bedeutet, dass die Beschichtung erst nachträglich aufs fertige Glas aufgebracht wird. Erst nachdem der Werkstoff produziert und geschnitten worden ist, läuft es durch eine Reihe von Vakuumkammern - und in jeder wird eine Schicht aufgetragen. Physik ist es deswegen, weil negativ geladene Kathoden auf positive Ionen treffen. Dabei lösen sich Atome aus der Oberfläche und lagern sich auf der Glasfläche ab. Obendrauf ist trotzdem dazwischen: Beide Arten von Beschichtung kommen meistens auf den zum Scheibenzwischenraum gerichteten Oberflächen der Scheiben des Isolierglases drei- oder mindestens zweifachverglaster Fenster - weil sie drinnen besser geschützt sind. Aber: außen und obendrauf gibt es auch.
Vielfältige Möglichkeiten
Was können aktuelle Beschichtungen? Zum Beispiel dämmen: Die Coatings sorgen dafür, dass ein großer Anteil der Wärmestrahlung in den Raum zurückreflektiert wird. Wertvolle Heizenergie hält sich dadurch länger im Raum. Neben der Beschichtung kooperieren im Scheibeninnenraum zudem Edelgase für bessere Isolierung. Wärmedämmung lässt sich wiederum mit Sonnenschutz kombinieren. Die Schutzschicht soll möglichst viel Sonnenenergie aus dem Innenraum raushalten, dabei aber möglichst viel Tageslicht reinlassen und den Ausblick nicht beeinträchtigen. Beschichtetes Glas liefert nach Expertenmeinung leistungsfähigeren Sonnenschutz als traditionell getöntes Glas - dank selektiver Wirkung: Infrarotstrahlung wird verweigert, während sichtbares Licht durchge. lassen wird. Oder besonders smart: Das Fraunhofer-Institut arbeitet an selbst schaltenden Oberflächenbeschichtungen, die mit Elektrochromie und Thermochromie funktionieren. Bei der Elektrochromie ist die Energiedurchlässigkeit übers Anlegen einer Spannung schaltbar. Bei der Thermochromie ist es den Forschenden gelungen, ein System zu entwickeln, das die Transmission im Infrarotbereich bei Überschreiten einer bestimmten Temperatur verändert. Die Nutzer bemerken nichts, denn das Sonnenlicht kommt weiter unverändert durchs ungetönte Fenster. Im Winter wird bei diesem Prinzip die Wärmeeinstrahlung der Sonne durchgelassen, was Heizkosten spart. Die Herausforderung bei dieser Variante ist laut Fraunhofer-Experten das Trägermaterial: Weil Polymerfolie aus physikalischen Gründen ausscheidet, ist extrem dünnes Glas notwendig. Bei 20 Grad Celsius schaltet das Material von übertragendem auf reflektierenden Zustand um. Akut wird das Switch 2 Save Projekt perfektioniert und zur Marktreife geführt.
Komfortabler Mehrwert
Mehr Komfort bedeutet für viele Menschen auch weniger putzen. Eine Beschichtung aus Titandioxid auf der sogenannten bewitterten Außenseite beispielsweise wirkt laut Profis wie ein Katalysator und betreibt Selbstreinigung. Die Sonneneinstrahlung löst eine chemische Reaktion aus, die Verschmutzungen löst. Angereichert ist die Oberfläche außerdem durch eine hydrophile Wasser anziehende Eigenschaft. Regenwasser erledigt dann den Rest der Putzarbeit und spült die gelösten Schmutzpartikel einfach weg. Oder der Lotus-Effekt: Mittels Beschichtung besteht die Oberfläche aus einer mikrofeinen Noppenstruktur, die verhindert, dass Schmutz überhaupt haften bleibt, bei Regen wird ebenfalls alles weggeschwemmt. Chemische und physikalische Prozesse helfen auch beim Sichtschutz und beim Styling von Glas. Die chemische und physikalische Bearbeitung von Glas-Oberflächen können Ornamente oder Strukturen schaffen, die Einblicke verhindern und gleichzeitig schönen Draufblick kreieren. Auch nachträglich installierbare Folien offerieren Updates und Tuning - sogar in Richtung Einbruchschutz und Sicherheit: Zähelastische PVB-Folien liefern hierfür Klebkraft und Reißfestigkeit. Und helfen beim Splitter binden und Resttragfähigkeit erhöhen. Annette Gropp
KÜHLEN UND HEIZEN OHNE LICHTVERLUSTUND AUF DIE SMARTE ART
Die Kombination aus Elektrothermie und Thermochromie soll den Kühl- und Heizenergiebedarf eines Gebäudes zwischen zehn und in Extremfällen bis zu 60 Prozent reduzieren. Das Projekt vom Fraunhofer Institut läuft unter dem Begriff Switch2Save und wurde von der Europäischen Union im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 finanziert. Infos unter www.fep-fraunhofer.de.