1. Hattest du schon mal Angst bzw. Bedenken über bestimmte Themen kritisch zu berichten? Sandra Hackenberg: Angst: niemals. Bedenken: manchmal. Das ist auch wichtig. Weil wir als lokale Tageszeitung auf unserem „Schlachtfeld“ sehr viel Macht und Einfluss haben, müssen wir die Themen bewerten, stets die Folgen bedenken und gegenüber ihrem Nutzen abwiegen. Es passiert nicht oft. Doch wenn ich zu dem Ergebnis komme, dass mein Bericht mehr Schaden anrichtet als dass er dazu beiträgt, Dinge zu verbessern, lasse ich lieber die Finger davon.Michael Wehner: Angst nein. Bedenken im Sinne von einer gesunden Portion Respekt vor den möglichen Konsequenzen von Veröffentlichungen gab und gibt es immer wieder. Als Journalist muss man sich im Klaren darüber sein, dass man in die Interessensphäre vieler Menschen eindringt und sie auch verletzt. Das beginnt beim entlarvenden Zitat eines Stadtrats, der die Sandkirchweih als Saufevent für das Prekariat bezeichnet, und reicht bis zum Aufdecken unrechtmäßiger Gehaltszahlungen im Rathaus, die den Oberbürgermeister in schwere Bedrängnis bringen. Umso wichtiger ist eine realistische Einschätzung der Risiken und Nebenwirkungen dieses Tuns. Zart besaitet sollte man in diesem Job nicht sein, aber auch kein Elefant im Porzellanladen.
2 .Aktuell und auch seit längerer Zeit nimmt man eine zunehmende Pressefeindlichkeit im öffentlichen Diskurs wahr. Wie gehst du als Journalist mit pressefeindlichen Meinungen um?
Hackenberg: Früher habe ich mir Vorurteile viel mehr zu Herzen genommen. Mit den Jahren habe ich jedoch verstanden, dass man es in unserem Beruf nie jedem recht machen kann. Wer das will, ist im Journalismus falsch. Unser Job ist es, die Wahrheit zu schreiben und nicht das, was ein Politiker, eine Behörde oder die breite Masse gerne lesen möchte. Damit macht man sich nicht nur Freunde, doch das gehört dazu. Wichtig ist, am Ende des Tages in den Spiegel schauen zu können und zu wissen, dass man sich nicht verbiegen lässt.
Wehner: Diese Skepsis gegenüber der sogenannten Lügenpresse spüren wir „Lokalen“ zum Glück nicht so oft wie möglicherweise andere. Aber wenn man ihr begegnet, versuchen wir stets, unseren Standpunkt, die Aufgaben und die Arbeitsbedingungen möglichst offen zu erklären, statt Kritiker in die rechte Ecke zu stellen. Das beste Mittel gegen Vorbehalte ist freilich gute Arbeit. Dazu gehört es auch, unbequeme Wahrheiten offen auszusprechen, wie zum Beispiel die Folgen des Betriebs des Bamberger Ankerzentrums für die Kriminalität. Leider ist unsere Branche im Gesamten vor Fehlentwicklungen nicht gefeit. Auch in der Coronakrise sollten Journalisten mehr Aufklärungsarbeit leisten, tiefer recherchieren als dies häufig der Fall ist. Der Blick auf die Quoten allein reicht nicht. Aber dazu müssen die Unternehmer und Gebührenzahler Farbe bekennen, indem sie die nötige Qualität finanzieren.
„Das beste Mittel gegen Vorbehalte ist freilich gute Arbeit. Dazu gehört es auch, unbequeme Wahrheiten offen auszusprechen.“
MICHAEL WEHNER, FT-Chefreporter
3.„Reporter ohne Grenzen“ goes local: Dein „Kriegsgebiet“ sind lokale Geschichten und „Skandale“. Wie geht man bei lokalen Geschichten an eine kritische Berichterstattung ran; was muss beachtet werden?
Hackenberg: Missstände in unserer Heimat aufzuzeigen ist wichtig, denn nur so besteht die Chance, etwas zum Positiven zu verändern. Anders als überregionale Medien berichten wir über Menschen vor der eigenen Haustür. Das bedeutet, dass wir diesen Menschen immer wieder begegnen. Das Schlimmste, das ein Lokaljournalist tun kann, ist, verbrannte Erde zu hinterlassen. So etwas spricht sich sehr schnell herum. Darum ist bei einer kritischen Berichterstattung äußerste Sorgfalt geboten.
Wehner: Skandale sind ja kein Selbstzweck. Themen können sich zu Aufregern entwickeln, wenn bei den Lesern eine gewisse Schmerzgrenze erreicht ist, wie dies bei der Rathausaffäre der Fall war. Das ist aber nicht unser vorrangiges Ziel. Zum zweiten Teil der Frage: Grundsätzlich unterscheidet sich das Handwerkszeug des Lokalreporters nicht von dem des Hauptstadtkorrespondenten: Möglichst umfassend recherchieren, alle Seiten hören, den Sachen vorurteilsfrei auf den Grund gehen. Vielleicht verlangt es mehr Sensibilität und mehr Standfestigkeit, um erfolgreich im Lokalen zu arbeiten. Anders als etwa unsere Berliner Kollegen können wir uns nicht verstecken. Wir müssen den Menschen, über die wir berichten, am nächsten Tag wieder in die Augen schauen.
4. Bist du bei Recherchen zu einem „pikanten“ Thema schon mal an den Punkt gelangt, dass du dir unsicher geworden bist, ob du inhaltlich überhaupt „so weit gehen kannst“?
Hackenberg: Die Frage, wie weit ich inhaltlich gehen darf, stelle ich mir ständig. Jeder Journalist sollte das tun. Reflektieren und sich mit Kollegen austauschen ist wahnsinnig wichtig. Jeder Journalist hat seine eigene Schmerzgrenze. Mit der Zeit entwickelt man ein Gespür dafür, wie weit man gehen kann und wann der Punkt erreicht ist, an dem man über das Ziel hinausschießt. Ein guter Journalist muss mutig und furchtlos sein, jedoch immer mit Bedacht.
Wehner: Solche Abwägungen sind ein selbstverständlicher Teil der täglichen Arbeit. So haben wir beispielsweise bei der Rathausaffäre peinlich genau darauf geachtet, keinen Hinweis zur Identifizierung der mit Überstunden-Boni überhäuften Mitarbeiter zu geben, auch wenn wir es gekonnt hätten und dies von manchen Lesern sicher genüsslich aufgenommen worden wäre. Auch die Unschuldsvermutung war uns immer wichtig.
„Das Risiko, nach einem kritischen Bericht verklagt zu werden, ist allgegenwärtig und dem sollte sich jeder Journalist stets bewusst sein.“
SANDRA HACKENBERG, Crossmedia-Reporterin
Andere Medien waren da nicht so zimperlich. Aber abgesehen von den juristischen Fragen der dadurch möglicherweise verletzten Persönlichkeitsrechte: Lokaljournalisten sind aus gutem Grund keine Skandaljournalisten.
5. Hast du in deinem nahen oder entfernten Umfeld schon mal persönliche Anfeindungen erlebt aufgrund deiner Berichterstattung?
Hackenberg: In der Zeit, als ich noch regelmäßig aus dem Gericht berichtet habe, ist es mir nicht nur einmal passiert, dass mich die Angeklagten später in der Stadt entdeckt und beleidigt haben. Einmal musste ich mich in einer Apotheke verschanzen und auf die Polizei warten, weil ich über eine kriminelle Bande berichtet habe. Zehn Männer haben mich daraufhin auf offener Straße verfolgt und bedroht. Ich werde auch nie vergessen, wie die Angehörigen einer Frau, die bei einem Abbiegeunfall mit einem Lkw gestorben ist, am darauf folgenden Tag bei mir vor der Redaktion gestanden und mich mit Tränen in den Augen gefragt haben, ob ich wirklich das völlig zerstörte Fahrrad ihrer Mutter auf der Titelseite zeigen musste. Und auch die ein oder andere Freundschaft ist schon in die Brüche gegangen, weil jemand nicht verstehen konnte, warum ich so und nicht anders berichtet habe. Das sind die Momente, in denen man sich fragt, ob das alles so richtig war und ob es das wert ist. Doch die Antwort war für mich immer Ja.
Wehner: Vom handgeschriebenen Hassbrief bis zum Shitstorm und zu Beleidigungen auf der Straße habe ich in dieser Beziehung nichts ausgelassen – und (bisher) alles überlebt. Auch bei „Bamberg Facts“ auf Facebook konnten wir uns zuletzt über einen Mangel an Aufmerksamkeit nicht beklagen. Und natürlich gab es auch aus dem Rathaus massive Anfeindungen. Zum vielfältigen Echo im Lokaljournalismus gehört aber auch das von unseren Lesern ebenfalls reichlich gespendete Lob. Das entschädigt für manches.
6. Juristen vs. Journalisten: Der Druck auf Journalisten steigt seit einigen Jahren, weil es vermehrt zu Anwaltsschreiben und Klagen kommt mit Blick auf kritische Berichterstattung. Wie stehst du zu diesem Thema?
Hackenberg: Es passiert immer häufiger, dass politische Größen, Unternehmen oder auch Privatpersonen mithilfe eines Anwalts versuchen, die Medien mundtot zu machen und die Pressefreiheit zu untergraben. So weit dürfen wir es niemals kommen lassen. Doch das Risiko, nach einem kritischen Bericht verklagt zu werden, ist allgegenwärtig und dem sollte sich jeder Journalist stets bewusst sein. Umso wichtiger ist es, vor allem bei der Verdachtsberichterstattung genau zu recherchieren und keine Angriffsfläche zu bieten. Ich glaube an unser Rechtssystem und wenn man sauber gearbeitet hat, hat man in der Regel auch nichts zu befürchten.
Wehner: Ich erinnere mich noch gut an einen Bamberger Bauherren, der 2006 ohne besonderen Anlass angekündigt hat, mich „durch Sonne, Mond und Sterne“ klagen zu wollen, wenn ich es wagen sollte, über sein Projekt neben der neuen Luitpoldbrücke zu berichten. In der Rathausaffäre kam es aktuell zu einer Anzeige gegen Unbekannt wegen Geheimnisverrats. Klar ist aber, dass wir unseren Informanten auch der Staatsanwaltschaft niemals preisgeben werden. Juristische Drohgebärden sind kein neues Phänomen, aber ja, sie zwingen noch mehr als bisher zu professionellem Vorgehen – journalistisch, aber auch im Unternehmen. Medienhäuser mit erfahrenem Rechtsbeistand sind da klar im Vorteil. red
Abgründe im Rathaus?
Es war nur ein Packen Papier. Doch der geheime Prüfbericht des Kommunalen Prüfungsverbandes hat die Bamberger Stadtverwaltung aufgemischt wie lange nicht. Über wen sich die FT-Lokalredaktion Zugang zu dem brisanten Material verschaffte, ist bis heute eines der bestgehüteten Geheimnisse in Bamberg. Das kann man von den Ergebnissen der Recherche nicht sagen: Drei Monate lang hat ein Team der Lokalredaktion um Chefreporter Michael Wehner die Untiefen der Bamberger Vergütungspraxis ausgelotet. Es ging um rechtlich fragwürdige Bonus-Zahlungen in siebenstelliger Höhe. Die Stadt hat die umstrittene Praxis mittlerweile eingestellt, doch zu Ende ist der Skandal noch nicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt…
Michael Wehner, Chefreporter FT Bamberg
Ein Fall für die Justiz?
Ein namhafter Automobilzulieferer zahlt seine Gläubiger nicht. Es geht um Beiträge in Millionenhöhe. Die Versäumnisse hat der Geschäftsführer auch weitestgehend eingeräumt. Kurzum: eine brandheiße Geschichte, die gründlich recherchiert werden muss. Weil ich wusste, was dieser Bericht für den Ruf des Unternehmens bedeutet, habe ich dem Geschäftsführer Zeit gegeben, seine Rechnungen zu bezahlen, parallel aber weiter Informationen gesammelt und Hintergrundgespräche geführt. Die Sammlung von weiteren Informationen ergibt neue Details: Das Unternehmen sitzt im Kalten und die Produktion steht still, weil der Geschäftsführer ein Jahr lang keine Nebenkosten gezahlt hat. Nun ist der Punkt erreicht, um die Geschichte zu veröffentlichen. Kaum ist der Bericht online, geht er um die ganze Welt, bis nach Amerika, Singapur und China. Einen Tag später haben wir ein 80-seitiges Anwaltsschreiben auf dem Tisch. Die Verweigerung einer Unterlassungserklärung bringt uns vor Gericht – dieses gibt uns zu 90 Prozent recht.
Sandra Hackenberg, Crossmedia-Reporterin, Lokalredaktion Kronach