Aktiv im Alter
Von der einen Sekunde auf die andere komplett auf Hilfe angewiesen? Oder schleichend-stetiger Abbau wegen Raubbau von Krankheit? Pflegebedürftigkeit hat viele Facetten und viele Stufen und stellt unterschiedliche Forderungen auf unterschiedlichen Lebensebenen. Gemeinsamer Nenner: Die Alltagstauglichkeit bleibt auf der Strecke. Wenn immer weniger funktioniert und immer mehr Hilfestellung angesagt ist, hilft Betroffenen und Angehörigen nur: Klaren Kopf bewahren. Situation checken, Pflegebedürftigkeit eingrenzen. Und Fühler ausstrecken. Denn: Das Sozialversicherungssystem offeriert mit der Pflegeversicherung Optionen zur Unterstützung.
Pflegebedürftig: Die genaue Definition
Pflegebedürftigkeit: Der Begriff ist in Deutschland per Sozialgesetzbuch klar eingegrenzt. Paragrafen beschreiben, wann ein Mensch als pflegebedürftig gilt und wie diese Einstufung seriös gemessen und beurteilt werden soll. Der Begriff der Bedürftigkeit greift dann, wenn Betroffene wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Beeinträchtigungen Unterstützung brauchen. Langfristig und nachhaltig bei alltäglichen Aktivitäten und Verrichtungen, verursacht durch Krankheit, Behinderung oder einfach altersbedingt. Ausschlaggebend sind die konkreten Auswirkungen auf die Selbstständigkeit im Alltag.
Pflegeversicherung: Was ist das?
Damit keine finanzielle, handlungsmäßige und damit buchstäbliche Hilflosigkeit entsteht, gibt es in Deutschland ein Solidarsystem. Die Pflegeversicherung ist fünfter und jüngster Zweig des sozialen Netzes: Neben Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung und Krankenversicherung will sie garantieren, dass Menschen unabhängig von Einkommen, Alter und Gesundheit ärztlich versorgt und gepflegt werden können. Um das zu finanzieren, gelten alle gesetzlichen Versicherungen des sozialen Netzes als Pflicht: Gesetzlich Versicherte werden automatisch in die soziale Pflegeversicherung integriert, privat Krankenversicherte müssen eine private Pflegeversicherung abschließen.
Pflegeversichert: Wer zahlt? Wer nutzt?
Alle finanzieren alle. Die Leistungen der gesetzlichen sozialen Pflegeversicherung werden durch Beiträge bezahlt, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber größtenteils hälftig entrichten. Damit Leistungen anlassgerecht und überhaupt gerecht verteilt werden, ist Prüfung angesagt. Was an finanziellen Mitteln ausgeschüttet wird und welche Leistungen von der Pflegekasse bezahlt werden, hängt von Art und Dauer der individuellen Pflegebedürftigkeit ab. Messeinheit ist seit 2017 der sogenannte Pflegegrad: Je nach Schwere und Umfang der Einschränkungen von Selbstständigkeit und Fähigkeiten gibt es Freigaben von unterstützenden Maßnahmen – finanzieller und sachlicher Art.
Pflegegrad: Das Mess-Instrumentarium
Von geringer Beeinträchtigung bis zu schwerster Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung: Paragraf 14 und 15 des Sozialgesetzbuches definieren detailliert, ab wann ein Mensch als pflegebedürftig gilt und mithilfe welcher Kriterien die aktuell fünfgradige Einstufung gemessen wird. Ziel: Was in welchem Maße fehlt, soll in gerechten Abstufungen je nach Bedarf von weniger bis richtig viel unterstützt werden. Wie viel Grad Pflegebedürftigkeit existiert, checkt die Pflegekasse per Einschätzung von Gutachtern des Medizinischen Dienstes, bei privat Versicherten Profis von Medicproof. Weil es nicht immer nur um alte Menschen geht, gibt es auch besonders geschulte Gutachter, die wiederum Pflegebedürftigkeit bei Heranwachsenden beurteilen.
Pflegegrad messen: Wie geht das?
Das Instrumentarium zur Einordnung ist ein Fragenkatalog rund um die Selbstständigkeit in relevanten Bereichen des täglichen Lebens. Das erste Modul dreht sich um körperliche Mobilität, also ums Bewegen innerhalb des Wohnraumes. Modul Nummer zwei checkt alles rund ums Sprechen und Verstehen, Nummer drei prüft Verhaltensweisen und psychische Disposition. Das vierte Modul begutachtet das Thema Selbstversorgung mit den Aspekten Essen, Trinken, Waschen und Co. Den Umgang mit Krankheit und Therapie beurteilt wiederum Modul Nummer fünf: Hier geht es um selbstständige Arztbesuche, korrekte Medikamenteneinnahme und Nutzung von Hilfsmitteln. Modul Nummer sechs schließlich schaut aufs Alltagsleben und Kontakte. Pro Modul und pro Kriterium werden dann Punkte vergeben, die nach Relevanz gewichtet und zusammengezählt werden. Die Gesamtpunktzahl entscheidet schließlich die Einstufung von eins bis fünf: Je höher die Anzahl der Punkte, desto größer der Unterstützungsbedarf und damit der Pflegegrad.
Pflegeleistungen anfordern: Was ist zu tun?
Startschuss ist ein formloser Antrag. Weil die Pflegekasse der Krankenkasse angeschlossen ist, genügt auch erstmal ein Anruf beim üblichen persönlichen Ansprechpartner. Nach Eingang des mündlichen oder schriftlichen Antrags wird der Medizinische Dienst informiert – dieser vereinbart einen Termin. Bis dahin sollten Pflegebedürftige oder Stellvertreter Krankheitsberichte, Atteste oder andere medizinische Unterlagen gesammelt haben. Zur Begutachtung kommt der Pflegegutachter ins Haus, in die Wohngemeinschaft oder ins Pflegeheim: Wenn Betroffene mit so einer Befragung Schwierigkeiten haben, ist die Anwesenheit von Angehörigen empfehlenswert. Nach Sichtung der Patientenunterlagen und Prüfung der Beobachtungen leitet der Gutachter seine Empfehlung an die Pflegekasse weiter. Wichtig: Falls das Ergebnis nach finaler Prüfung der Kasse doch unbefriedigend sein sollte, kann innerhalb von 30 Tagen Widerspruch eingelegt werden. Genauso relevant: Es gilt immer das Datum des Antrages – auch für rückwirkende Leistungen.
Annette Gropp
Pflegegradrechner
Pflegegrad in Aussicht? Oder höherer Pflegegrad möglich? Nutzen Sie den Online-Pflegegradrechner und tragen Sie die individuelle Situation ein. Das Tool orientiert sich am gesetzlichen Verfahren, führt Schritt für Schritt durch relevante Fragen, errechnet das Ergebnis und liefert eine Einschätzung. Weitere Infos unter www.pflege.de . Noch mehr Wissenswertes gibt es dort oder direkt beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter